Das gekürzte Inteview mit Frau Gritz erschien zuerst in der 63. Ausgabe des miteinanders auf Seite 3.
Hier nun der ungekürzte Text:
Warten ist nicht Stillstand – sondern Vorbereitung auf Neues
Advent – das klingt nach Lichtern, Kalendern und Termindruck.
Ursprünglich aber war diese Zeit des Jahres eine Phase der Einkehr und des bewussten Wartens.
Ähnlich erleben es viele Frauen in der Schwangerschaft: eine besondere Zeit zwischen Vorfreude, Veränderung und Verantwortung.
Das Team der Praxis Herzstück in Hemmingen begleitet Frauen in dieser Übergangszeit mit einem ganzheitlichen Blick auf Frauengesundheit – von der Schwangerschaft bis hinein ins junge Muttersein und darüber hinaus.
Wir haben bei der Gründerin Henrike Gritz nachgefragt:
Wie lässt sich inmitten von Anspannung und äußeren Erwartungen die eigene Kraft (wieder)finden?
miteinander: Frau Gritz, Advent gilt als Zeit der Vorbereitung auf Neues – ähnlich wie eine Schwangerschaft. Was verbinden Sie persönlich mit dieser besonderen Zeit des Wartens?
Henrike Gritz: Die Zeit der (ersten) Schwangerschaft ist ganz besonders. Man weiß nicht, was auf einen zukommt, kennt die Veränderungen des Körpers nicht, hat evtl. auch einige Sorgen oder Ängste. Gleichzeitig ist man super gespannt, neugierig und kann es kaum erwarten, endlich sein Baby zu sehen, zu spüren.
Diese Zeit ist einfach unglaublich und kommt so klar und rein auch nicht nochmal wieder. Eine Schwangerschaft verbinde ich mit absoluter Magie, Kraft, Faszination! Und eben diese Magie spiegelt sich auch in der Adventszeit wieder, sowohl als ich selber Kind war, als auch jetzt mit meinen eigenen Kindern. Die Zeit ist magisch und man sollte sich viel mehr davon für diese (kindliche) Magie und Faszination nehmen.
miteinander: Sie begleiten schwangere Frauen in einer sehr sensiblen Lebensphase. Welche Rolle spielt dabei die innere Vorbereitung – jenseits der körperlichen Veränderungen?
Henrike Gritz: Die innere Vorbereitung ist mitunter die Wichtigste. Eine Frau kann durch Ihre Einstellung gegenüber der bevorstehenden Geburt vieles beeinflussen. Natürlich gibt es auch Dinge, die die innere Einstellung nicht verändern kann, aber genau das ist der Punkt.
Die Frau sollte sich auf jede Situation vorbereiten; auf Ihr Wunschszenario unter Geburt, gleichzeitig aber auch auf eine Geburtssituation, die Sie sich so nicht vorstellt. Geburt ist wunderbar und faszinierend, gleichzeitig aber eben auch unberechenbar.
Schwangere sollten sich gedanklich mit der Geburt auseinandersetzen, allein die Wortwahl (zb. Welle statt Wehe) kann schon viel machen. Nimm jede Welle als ein „jetzt kommt mein Baby noch ein Stück näher“ und nicht als „Oh nein, schon wieder eine Wehe“. Lass’ Dich drauf ein, versuch die Bewegungen, Schritte Deines Körpers anzunehmen und mitzugehen, vertraue Deinem Körper. Wir dürfen wieder lernen unserem Körper viel mehr zu vertrauen!
Jede Frau bereitet sich anders vor, die eine sehr intensiv, die anderen kaum. Ich denke, es sollte sich jede so viel Wissen nehmen, wie sie verarbeiten kann. Und das bedeutet für die eine Frau mehr und für die andere Frau weniger, jede so, wie Sie es braucht.
Ich denke es ist wichtig ein grobes Grundgerüst zu haben, was wünsche ich mir für meine Geburt, was möchte ich auf keinen Fall? Habe ich eine Vertrauensperson an meiner Seite, die im Fall mein Sprachrohr sein kann? Wo und wie möchte ich mein Kind entbinden - auch hier finden sich einige Punkte wieder. Wir brauchen m.E. nach (außer medizinisch indiziert) keine Hochleistungsklinik, um zu entbinden, sondern einen Raum, in dem wir uns wohlfühlen, in dem wir uns loslassen und vertrauen, sowie Kontrolle abgeben können. Hier ist es mir wichtig zu sagen, dass der Ort der Entbindung für jede Frau etwas anderes bedeutet, auch hier sollte jede frei nach Ihren Bedürfnissen entscheiden dürfen.
miteinander: Die Adventszeit ist oft geprägt von Hektik und hohen Erwartungen – so wie manchmal auch die Schwangerschaft. Wie helfen Sie Frauen, trotz allem zur Ruhe zu kommen?
Henrike Gritz: Schwangere Frauen und auch wir Frauen im Allgemeinen dürfen lernen, uns Zeit für uns zu nehmen. Egal, ob wir gerade das erste Mal schwanger sind, schon zwei Kinder zuhause haben oder vielleicht auch ein Leben ohne Kinder möchten. Wir stellen uns oft hintenan & das darf sich ändern.
Sehr häufig erlebe ich Frauen, die durch Ihren Alltag hetzen, durchgetaktet sind und dadurch Probleme entwickeln. Hier darf neu gelernt werden, wie man den Fokus auf sich & die eigenen Bedürfnisse legen kann. Ich darf mich auch als Mama um mich selbst kümmern - und sollte das auch unbedingt tun. Denn nur dann kann ich mich entspannt und resilienter um mein Umfeld kümmern.
Ich vermittle den Frauen, dass es mehr als in Ordnung ist, sich an erste Stelle zu stellen. Ich arbeite viel über die Körperwahrnehmung, wo spüre Ich Spannungen, wohin geht meine Atmung, wie fühle ich mich überhaupt?
Was machen die Einwirkungen von außen mit mir und wie schaffe ich es, diese für mich als Schwangere auszublenden? Ich glaube es gibt kaum ein Feld, in welchem wir mehr ungefragte, nett gemeinte Ratschläge bekommen als in einer Schwangerschaft oder im Elterndasein.
miteinander: Was wünschen Sie sich für unsere Gesellschaft im Blick auf Schwangerschaft – und vielleicht auch im Blick auf den Advent?
Henrike Gritz: Ich würde mich sehr freuen, wenn eine Schwangerschaft nicht mehr als Belastung, Schwierigkeit, Störfaktor empfunden wird. Sondern als das, was es ist: wunderschön & positiv aufregend!
Ich wünsche mir, dass Schwangeren keine Angst gemacht wird, sondern Sie bestärkt werden in Ihrem Sein und Tun. Noch immer werden viele Ängste geschürt und das ist furchtbar schade.
Außerdem wäre ich der Gesellschaft dankbar, wenn Sie im Bereich Schwangerschaft und Elternsein weniger/nicht mehr übergriffig wäre. Angefangen von ungefragten Berührungen des Schwangerschaftsbauches, auf den Arm nehmen des Babies, Erziehungstipps für die Kinder.
Wir alle haben mal schwierige Situationen und mal können wir besser mit diesen umgehen und mal schlechter. Die Gesellschaft sollte dann einfach hinschauen, reflektieren und fragen, ob und wie man helfen kann.
Wir leben inzwischen alle in unserer Blase vor uns her und haben wenig Blick auf andere Menschen und Ihre Situationen. Da würde ich mir doch sehr eine Veränderung wünschen, mehr füreinander da zu sein, aufeinander zu achten, sich zu sehen und wahrzunehmen.
Und gerade dafür steht doch auch irgendwie die Adventszeit, alle wünschen es sich besinnlich und schön - doch die meisten hetzen gestresst durch die Gegend. Ich würde mir wünschen weniger Wert auf eine nach außen toll aussehende Welt zu setzen, weniger Perfektion und Ansehen und viel mehr Miteinander am Feuer sitzen, Kekse backen (die vielleicht auch verkohlen :) ) und zu fragen, wie geht es Dir denn eigentlich wirklich?
Ich möchte an dieser Stelle noch betonen, dass es nicht immer für jede Frau positiv ist, eine Schwangerschaft zu erfahren und zu erleben. Auch das ist völlig in Ordnung & auch dabei stehen wir den Frauen zur Seite. Jede Frau darf diese Situation so empfinden, wie sie es empfindet.
miteinander: Welche Frage möchten Sie gestellt bekommen und was ist die Antwort darauf?
Henrike Gritz: Oh, das ist eine sehr schöne und gleichzeitig wirklich schwierige Frage! Ich glaube die simpelste Frage ist nach dem Warum?
Ich habe von Anfang an die Vision gehabt einen Ort für Frauen zu erschaffen, an dem Sie all die Unterstützung bekommen, die Sie im Leben brauchen.
Egal, in welcher Lebenslage Sie sich befinden. Ich habe mir gewünscht, einen Raum zu schaffen, an dem Frauen gesehen, ernst genommen werden und Ihnen geholfen wird.
Ich wollte zu Beginn meiner Selbstständigkeit das Tabu brechen, das Tabu, das über „solche“ Themen nicht gesprochen wird, das es schambehaftet ist. Und genau das machen meine Kolleginnen und ich tatsächlich jeden Tag aufs Neue und ich liebe es.
Wir brauchen noch so viel mehr Aufklärung in der Frauengesundheit, es wird noch immer zuviel ignoriert, nicht aufgeklärt, übersehen und abgetan als „das ist jetzt eben so“.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich meine Leidenschaft in diesem Bereich tagtäglich an meine Frauen weitergeben kann und das ist auch einer der schönsten Punkte meiner Arbeit: die Dankbarkeit der Frauen. Dass diese rückmelden, dass Sie endlich ernstgenommen wurden, Ihnen endlich geholfen wurde!
Wie man das nun auf die bevorstehende Adventszeit projizieren kann, weiß ich nicht genau. Vielleicht am ehesten den Punkt der Dankbarkeit. Nehmt wie oben bereits geschrieben Euer Umfeld, Eure liebsten Menschen wahr und steht ihnen zur Seite.)
Ob in der Schwangerschaft oder im Advent – wer sich Zeit nimmt für sich selbst, schafft Raum für das, was wirklich zählt.
Mit Henrike Gritz sprach Pastorin Rebecca Denger