Pattensen setzt Zeichen: Über 200 Menschen bei Gedenkandacht

Nachricht 10. November 2023

Eindrucksvolle Rede von Regionalbischöfin Petra Bahr

Schülerinnen und Schüler der KGS-Pattensen bringen Kerzen zur Erinnerung mit zum Gedenkstein am Platz der ehemaligen Synagoge in Pattensen (Foto: Schwier)

Über 200 Menschen in Pattensen haben ein Zeichen gesetzt am 9. November: So viele sind zur ökumenischen Andacht zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht 1938 gekommen. Die evangelische und die katholische Kirchengemeinde hatten gemeinsam mit dem Kirchenkreis zur Andacht eingeladen.

„Wir bekennen uns zur geschichtlichen Verantwortung“, sagte Superintendent Andreas Brummer in seiner Begrüßung. Er erinnerte daran, dass auch in Pattensen in der Pogromnacht zehn jüdische Mitbürger in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt wurden. Das sei eine Aufkündigung des Schutzversprechens einer Stadt gewesen, denn diese Mitbürger waren aktiv im Leben der Stadt, zum Beispiel bei der Feuerwehr und in Vereinen. Gerade in der heutigen Situation sei es umso wichtiger, dass die Menschen ein Zeichen setzen, und das hätten die Menschen am Gedenkabend getan.

An der Andacht waren auch Schülerinnen und Schüler eines Religions-Leistungskurses der KGS-Pattensen beteiligt. Sie trugen ein Gedicht von Fritz Schürmann vor, eines jener Juden, die in das KZ Buchenwald gebracht wurden. Und sie lasen alle Namen der zehn Verschleppten vor und zündeten Kerzen für sie an. Damit wurden diese Menschen wieder in die Mitte der Gesellschaft geholt, aus der sie vor 85 Jahren gerissen wurden.

Die Ansprache hielt Regionalbischöfin Petra Bahr. Viele Gäste haben ihr nach dem Gottesdienst für ihre Worte gedankt. Sie erinnerte an die Geschehnisse 1938: „Tora-Rollen wurden auf den Bürgerseig ausgerollt und darauf herumgetrampelt.“ Jüdische Menschen wurden misshandelt, verhaftet, getötet.  Synagogen angezündet und verwüstet. Besonders zynisch: „Die Betroffenen mussten selbst aufräumen und selbst die medizinische Behandlung der eigenen Angehörigen bezahlen“, erinnert Bahr. In Deutschland werde der 9. November oft als Schicksalstag bezeichnet. „Schicksal klingt nach Naturgewalt“, sagt Bahr. Dabei erinnere das Datum daran, dass das unter aller Augen geschah.

Heute, nach dem Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober, werden wieder Jüdinnen und Juden angefeindet und mit Hass überzogen. Petra Bahr erinnerte an die rund 1500 Toten, die aufs Widerlichste durch die Hamas getötet wurden. Jüdische Nachbarn hätten eigentlich die Koffer auf den Dachboden gepackt. Aber: „Die gepackten Koffer stehen nun wieder im Flur“. Sie selbst habe viele antisemitische Sprüche gehört. Eine Frau habe ihr gesagt: „Die jüdische Lobby der Pharmaindustrie habe die Pandemie doch erst verursacht.“ Es seien viele solcher Verschwörungstheorien im Umlauf. Dagegen müssten alle Menschen entschieden vorgehen.

„Wir neigen in Deutschland sehr zur Ohnmachtspflege“, sagte Bahr. Das Gedenken an den 9. November könne nach dem 7. Oktober nicht mehr so bleiben, wie es war. „Ein Gedenktag ist nur sinnvoll, wenn er eine Selbstverpflichtung für die Gegenwart ist“, sagt die Regionalbischöfin. Das gehe nur mit einer Parteinahme gegen jede Form von Judenhass.

Nach der Andacht gab es einen Schweigemarsch zum Gedenkstein in der Hofstraße, zum Ort, an dem die Pattenser Synagoge stand. Dort wurden zwei Kränze niedergelegt und die Schülerinnen und Schüler stellten die zehn Kerzen dazu.

shw

Kränze und Kerzen am Gedenkstein für die ehemalige Synagoge in Pattensen (Foto: Schwier)
Zehn Kerzen zur Erinnerung an zehn jüdische Männer, die in der Pogromnacht 1938 aus Pattensen in das KZ Buchenwald verschleppt wurden (Foto: Schwier)